Banter Fischerdorf - Kleinod mit Tradition


Seit 1908 gibt es das Banter Fischerdorf in Wilhelmshaven das heute aus 26 Mobilheimen besteht. Die Hobbyfischer verbringen die Sommermonate in ihren Mobilheimen am Banter Seedeich und gehen teils in dritter Generation dem traditionellen Fischfang nach. Aber nur noch wenige der Fischer fahren regelmäßig raus zum traditionellen Fischen. Einer von ihnen ist Günter Buss.

Als die Gezeiten das Watt am Banter Fischerdorf trockengelegt haben, leuchtet es orange und rosa am Horizont. Noch eine gute halbe Stunde, dann wird die Sonne aufgehen. Unten im Schlick liegen kleine Boote und warten auf die nächste Flut, irgendwo pfeift ein Austernfischer und die leichte Brise weht einen modrigen Geruch zu den Mobilheimen am Fuße des Seedeichs.

 

In einer der Hütten brennt Licht. Sie gehört Günter Buss und seiner Frau Mimi. Buss hat graue Haare und einen festen Händedruck, die Haut braungebrannt von der Sonne. Mit seinen 80 Jahren ist er der älteste aktive Freizeitfischer am Banter Seedeich und an diesem Morgen wie so oft unterwegs zu den Reusen, die draußen in den Prielen von den Freizeitfischern ausgebracht wurden. Bei ablaufendem Wasser soll Granat ins Netz gehen.

Der Weg zu den Reusen ist beschwerlich, führt durch knietiefen Schlick und über scharfkantige Austern, die spitz aus dem Meeresboden ragen. Sein Freund Walter Noll begleitet ihn. In Wathosen schlurfen sie über das Watt und ziehen einen kleinen Schlitten hinter sich her, der mit Eimern beladen ist. Wie Glühwürmchen bewegen sich die Lichter ihrer Stirnlampen durch die Dämmerung.

 

Keine hundert Meter, dann erreichen sie das Ziel. Günter Buss begutachtet die trichterförmige Öffnung und hebt das Netz an. „Ist nicht so doll“, murrt er. Möwen kreischen und stürzen sich auf die Reusen, in der Hoffnung auf ein schnelles Frühstück. Leichte Beute – davon können die beiden Freizeitfischer nur träumen. Wie zwei Goldgräber stehen sie im Schlick, sieben den mickrigen Fang. Granat ist ihr Gold und an diesem Morgen genauso selten wie das Edelmetall. Stattdessen haben winzige Quallen die Netze verstopft. Eine gallertartige Masse. „Das ist vielleicht ein Dreck heute“, flucht Walter Noll und siebt weiter nach den kleinen grauen Garnelen. „Das ist heute wirklich nicht die Mühe wert.“ Auch in der zweiten Reuse ist kaum etwas zu holen. Rückzug also.

Seine Frau Mimi werde ganz schön enttäuscht sein, sagt Günter Buss auf dem Weg zur Fischerhütte. Die 84-Jährige wartet schon und hat Wasser aufgesetzt – zum Abkochen des Granats. Inzwischen ist die Sonne aufgegangen und es duftet nach frischem Kaffee. Mimi Buss hat Frühstück gemacht.

 

Die Aussicht durch das Fenster des Mobilheims aus rotgetünchtem Holz tröstet über den mickrigen Fang hinweg. Die beiden blicken direkt auf den Jadebusen, riechen das Meer und hören die Wellen. „Herrlich, oder?“, fragt der 80-Jähige, wenn Besuch am Tisch sitzt. „Schön ruhig, das Wasser direkt vor der Tür. Wo hat man das schon?“ An lauen Sommerabenden, wenn die Sonne untergeht und die festgezurrten Fischerboote sich sachte in den Wellen wiegen, könnte man sich auf einer Mittelmeerinsel glauben. Dann sitzt er mit seiner Frau draußen, schaut auf das Wasser.

Das aber ist bald erst einmal wieder vorbei: Günter und Mimi Buss verbringen die ganze Saison von Anfang April bis Ende September im Fischerdorf. In den nächsten Tagen müssen sie wieder einpacken und alles abbauen. Dann müssen die Mobilheime der Deichsicherheit wegen den Platz räumen und kommen zurück ins Winterlager. „Früher waren die Fischer das ganze Jahr hier, damals gab es feste Holzbuden“, erzählt der 80-Jährige.

 

Die Geschichte des Fischerdorfs reicht ins Jahr 1908 zurück. Selbstgezimmerte Holzhütten mit Kohleöfen säumten damals den Deich. Arbeiterfamilien aus der Banter Werftsiedlung betrieben hier die Fischerei mit Ruderbooten und verdienten sich so ein kleines Zubrot. An die Betreiber der Darre, die damals direkt am Deich stand, verkauften sie den Beifang, der getrocknet und zu Hühnerfutter verarbeitet wurde. Nicht zuletzt hatten die Großfamilien durch die Fischerei selbst mehr Essen auf dem Tisch. Die Tradition wurde über die Jahrzehnte weitergepflegt. Anfang der 80er-Jahre aber mussten die Holzbuden weg, als der Banter Seedeich erhöht wurde. 26 Mobilheime stehen hier heute in den Sommermonaten auf einem festen Stellplatz. Sie sollen von Generation zu Generation in den Familien weitervererbt werden.

 

 Günter Buss übernahm erst im Jahr 1992 das Mobilheim von seiner Tante, war seit den 60er-Jahren aber längst Dauergast im Fischerdorf. „Ich habe das Boot meines Onkels repariert, als Dankeschön durfte ich mit rausfahren zum Fischen“, erinnert sich der gelernte Tischler an die Anfänge. Viele Fischer kennt er aus dieser Zeit. Die meisten sind am Deich groß geworden. Von den 60 Mitgliedern des Vereins „Interessengemeinschaft Banter Fischerdorf“ fahren heute aber nur wenige regelmäßig zum Fischen raus, pflegen so die traditionellen Fangmethoden wie das Pieren, Granat- und Schollenfang mit der Sperrlage oder mit Stellnetzen und Reusen.

„Die Ausbeute ist über die Jahre aber immer schlechter geworden“, sagt Buss und erzählt von früheren, weit üppigeren Fängen. Vor allem auf Aal hatten es die Fischer immer abgesehen. „Den fängt man heute nur noch ganz selten.“ Für den Freizeitfischer, der schon als Kind angelte, ist das aber kein Grund, sein kleines Boot für immer einzumotten. Bei auflaufendem Wasser will Buss auch an diesem Tag wieder rausfahren zum Pieren. Mit Wattwürmern als Köder. „Pieren ist wie angeln ohne Haken“, erklärt der 80-Jährige, als er die Wattwürmer auf einen Wollfaden aufzieht.

 

Als das Boot endlich wieder Wasser unter dem Kiel hat, kann es losgehen. In Wathosen steigt Buss ins knietiefe Wasser. In der Hand einen Eimer mit den Ködern und einen leeren für den Fisch. Buss wuchtet alles ins Boot, dann geht er selbst an Bord. Der Außenborder röhrt auf. Sein Hüttennachbar Dieter Jungemann hat sich ebenfalls startklar gemacht und folgt Buss in sicherer Entfernung. Zusammen fahren sie raus zum Jappensand, dort dürfen die Freizeitfischer ihrer Leidenschaft noch nachgehen.

 

Am Jappensand stellt Günter Buss den Motor aus und stochert mit einem Bambusstab im Wasser. Das Boot schaukelt in den Wellen. Es riecht nach Meer und man kann das Salz in der Luft schmecken. „Hier ist es gut – nicht zu tief“, sagt der 80-Jährige. Der Köder muss den Grund berühren können. Buss wirft die Anker über Bord, erst achtern, dann vorne. Dann nimmt er auf einer Holzlatte Platz und legt die Füße in den schweren Gummistiefeln hoch. Der Wollfaden mit dem Köder baumelt an einem Bambusstab. Jetzt heißt es warten. Wer fischt, müsse Geduld mitbringen, sagt Buss. „Ich mag diese Ruhe.“

Zwischendurch dreht sich Buss um und schaut nach dem anderen Boot. „Hast du schon was, Dieter?“, ruft er herüber. „Ne“, antwortet Jungemann, der kaum zu hören ist. Er hat an diesem Tag Geburtstag – seinen 70. Darauf solle man ihn heute lieber nicht ansprechen, scherzt Buss leise. Dann ruft er wieder: „Ich auch nicht.“

 

Wieder Schweigen. Nur die Wellen sind zu hören. Warten. Günter Buss muss den Stock die ganze Zeit über in der Hand halten, die Schnur möglichst gestrafft sein. „So spüre ich, wenn einer angebissen hat.“ Auf einmal erstarrt der Freizeitfischer. Etwas zieht verdächtig an der Wollschnur. Buss hievt den Bambusstab schnell zu sich. „Das könnte einer sein“, sagt der Fischer konzentriert. Aber Fehlanzeige. Ein Taschenkrebs hängt am Köder. Buss schüttelt den Bambusstab, bis der Krebs zurück ins Wasser gefallen ist. „Ich hatte mal einen ganz großen. Im ersten Moment dachte ich, dass wäre ein alter Schuh“, erzählt er und lässt den Köder wieder ins Wasser.

 

Wieder warten. Dann aber endlich: Ein Butt hat zugeschnappt. Schnell hievt Buss den Stab über das Boot, der Fisch fällt direkt in den Eimer. „Zum Glück. Wenigstens keine Nullrunde.“ Es wird bei einem Butt bleiben. Jungemann aber hat mehr Erfolg und am Ende sogar einen Aal im Eimer. Ein Prachtstück.

An Land verbreitet sich die Nachricht vom fetten Aal wie ein Lauffeuer – bis zur Hütte von Gerhard Richter. Der 79-Jährige zählt ebenfalls zu den Urgesteinen und gilt als Archivar des Fischerdorfs. Auf dem Tisch in seinem Mobilheim liegen Alben mit alten Fotos von den Anfängen – und vom Ende der festen Holzbuden, von denen Richter etliche mitgezimmert hat. „Das Fischerdorf muss bleiben“ – dieser Spruch stand auf den Aufklebern, die damals alle Fischer hinten am Auto hatten. Geholfen habe es nichts. Ein trauriger Anblick sei das gewesen, als die Fischer ihre eigenen Hütten abreißen mussten.

 

"Die Mobilheime waren ein Kompromiss, sonst würde es das Fischerdorf überhaupt nicht mehr geben“, sagt Richter und setzt sich in seinen Sessel, den er zum Fenster hin ausgerichtet hat. Vor neun Jahren musste der Wilhelmshavener das Fischen aus gesundheitlichen Gründen aufgegeben. „Es wurde sowieso immer schlechter mit dem Fang, da ist es leichter gefallen.“ Richter zeigt alte Aufzeichnungen. Über Jahre hat er Buch geführt und seine Fänge penibel eingetragen. „1988 war mein bestes Jahr. 156 Pfund Aale“, sagt er. Die Aussicht aber können ihm keiner nehmen. Nur die Wintermonate müssten die Banter Fischer eben überstehen – bis zur nächsten Saison.


Text und Fotos: Stephan Giesers • Artikel erschienen in der "Wilhelmshavener Zeitung", September 2016

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